Die Weggemeinschaft (Müsahiplik/Yol Kardeşliği)
Um Solidarität und Harmonie zu verwirklichen, bilden alevitische Familien in der Gemeinde Familienpaare und bündeln somit dauerhaft ihre Güter und Ressourcen. Die Mitglieder des Familienpaares verpflichten sich in jeder Hinsicht zur gegenseitigen Unterstützung. Die Fehler und Verdienste beider Familien müssen nunmehr gemeinsam verantwortet werden. Eine Heirat unter den Kindern und Kindeskindern dieser Familienpaare ist streng untersagt. Die Weggemeinschaft stellt eine wichtige soziale und religiöse Institution im alevitischen Islam dar, weshalb auf diese im Gottesdienst eingegangen werden muss.
Der Gottesdienst (Cem) der Aleviten
Der alevitische Gottesdienst (Cem) wird im Cemhaus (Cemevi) und auch in den Gebetsräumen (Meydan Evi) von alevitischen Klöstern (Dergah) vollzogen. Die Bauform bzw. Architektur der alevitischen Gebetshäuser (Cemevleri) orientiert sich an der Symbolik des Alevitentums (z. B. 12-eckiger Rundbau symbolisiert die 12 Imame) und ist ohne Minarett und ohne Aufruf zum Gebet (durch einen Muezzin). Die Abhaltung des Gottesdienstes erfolgt unter der gemeinsamen Teilnahme von Frauen und Männern, ohne Geschlechterwahrnehmung, da alle als Seelen (Canlar) angesehen werden.
Der Ablauf des „Cem“ beinhaltet:
- die Initiation (ikrar) zum mystischen Weg,
- das Einvernehmen (Rızalık) erzielen:
- im Einklang mit sich selbst sein,
- im Einklang mit der Gemeinde sein,
- die Bereitschaft sich auf den mystischen Weg zu begeben,
- die Unterrichtung in der alevitischen Glaubenslehre,
- das Gedenken an die „zu Gott gegangenen“ Verwandten,
- die Ablegung von Rechenschaft (Dara durmak) für eigenes Fehlverhalten,
- die Leistung einer Wiedergutmachung bei Fehlverhalten oder die Sanktionierung (Düşkünlük) von grobem Fehlverhalten (z. B. Ausschluss aus der Gemeinde),
- die liturgische Anbetung von Allah-Mohammed-Ali zur Verbundenheit (Tevhid),
- die Zelebrierung des rituellen Tanzes „Semah“ der Vierzig Heiligen,
- die Nachahmung der religiösen Zusammenkunft der Vierzig Heiligen (Kırklar),
- die Darbietung von religiösen Gesängen (Nefes/Deyiş) mittels der Laute „Saz“,
- die Darbringung eines gesegneten Gelöbnismahls (Lokma) oder Tieropfers (Kurban) für die Gemeinde zu jeweils gleichen Teilen,
- die Verrichtung der zwölf Dienste (12 Hizmet) durch die zwölf Diener:
- Leitung des „Cem“: Geistliche/r Lehrer/in (Mürşit/Pir – Dede, Baba/Ana)
- Begleitung der Schüler (Talip/Muhip): Wegweiser (Rehber)
- Aufsicht über die Ordnung während des „Cem“: Ordner (Gözcü)
- Entzündung des ewigen Lichts: Zünder (Çerağcı/Delilci)
- Gesangsdarbietung: Saz-Interpret (Zakir)
- Reinigung des Gebetshauses, -raums: Feger (Süpürgeci)
- Verteilung des Weihwassers: Wasserspender (Sakkacı)
- Seelische Reinigung der Gläubigen: Reiniger (İbriktar/Tezekar)
- Verteilung des Gelöbnismahls oder Tieropfers: Tafeldiener (Lokmacı/Kurbancı)
- Vorbereitung des „Cem“: Platzanweiser (Meydancı)
- Kundmachung des Gottesdienstes: Kundmacher (Peyik)
- Bewachung des Gebetshauses: Wächter/Türsteher (Bekçi/Kapıcı)
Der „Semah“ (eine Form des Dhikir) im Gottesdienst simuliert den religiösen Reigentanz der vierzig Heiligen während der Himmelfahrt (Miraç) Mohammeds und ruft zugleich die Leiden der 12 Imame in Erinnerung.
Der Geist wird durch die minutiöse Beachtung kontrollierter Bewegungen in einen Zustand besonderer Klarheit geführt, der sich auf den Verstand und Körper so stark auswirkt, dass am Ende alle drei Bereiche (Geist, Verstand und Körper) zu einem bewusstseinsintegrierenden Einssein geführt werden.
Die Langhalslaute „Saz“, auch als „Koran mit Saiten“ („Telli Kuran“) bezeichnet, besteht aus Kastanien- oder Maulbeerholz und dient, als wesentlicher Bestandteil der Liturgie, zur Darbietung von religiösen Gesängen. Sie begleitet den gesamten Gottesdienst, insbesondere die Semah-Darbietung.